Entkopplung

Die gegenwärtige Zeit hat eine gewaltige Unterströmung. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Zeitgeschehen und deshalb auf Nachrichten. Die Tagesschau verkündet und das Volk hört zu und glaubt. Nur solche, die nicht damit einverstanden sind, sie suchen nach Alternativen, gründen Medien, produzieren eigene Nachrichten. Sie sind dissident. Doch stimmt das? Im Grunde: Nein. Es gilt das Schriftwort vom Beelzebul. Man kann den Teufel nicht mit dem Beelzebul austreiben. Warum ist das relevant? Einfach: Weil die Fallstricke des Teufels darin bestehen, die Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die keine Aufmerksamkeit verdient haben. Die Versuchung besteht deshalb darin, seine Zeit sinnlos zu vertun mit Quatsch, der im besten Fall die Seele nicht vergiftet. Allerdings wird dann doch oft die Seele mitkorrumpiert. Denn der Zuschauer vertut nicht nur Zeit, sondern glaubt, zumindest im Tagesschaufall, auch noch white lies.

Die Opposition gegenüber dem Medienmainstream besteht nicht darin, eine Alternative zu bilden, wenn gleich das schon ein Schritt in die Richtung ist, sondern darin seine Zeit anderen Dingen zu widmen. Nicht der Aufmerksamkeitsökonomie folgen und mitspielen. Nicht reagieren auf das Zeitgeschehen. Statt dessen: Entkoppeln. Eine Nachricht nicht mit Aufmerksamkeit würdigen. Niemals die Souveränität abgeben darüber, was mich triggern darf. Ich entscheide, was mich empören darf. Der Mensch wird emotional ausgebeutet, weil er sich nicht wehrt. Es wird in ihm ein Schalter umgelegt (deshalb triggern) und der Mensch verschreibt sich der Nachricht. Er wird innerlich engagiert. Früher hieß es, daß einige Frauen wissen, welche Knöpfe man bei Männern drücken muß, damit sie das machen, was jene wollen. Die Redakteure und Inszeneure des Audiovisuellen wissen, was sie auslösen wollen und wie sie das erreichen.

Die Entscheidung zur Entkopplung ist deshalb nicht nur eine Frage der Medien, sondern der Aufmerksamkeitsökonomie insgesamt, weil im Grunde die Logik der Reklame alle Lebensbereiche durchdrungen hat. Die Grenze zwischen Inhalt und Werbung wurde schon lange durchbrochen. Die Art und Weise der Kommunikation richtet sich auf buy and sell. Statt über Realitäten des Lebens zu reden, verkommen selbst die banalsten Gespräche zu Verkaufsanstaltungen einer geschundenen Seele. Jeder preist sein eigenes Handeln an. Innerhalb einer solchen Logik, bei der der Gesprächspartner eigentlich die Rolle eines Kunden zugewiesen bekommt, der mir meine Story abkaufen soll, gibt es keine Diskussion, keinen Austausch, kein Zuhören und Selbstoffenbaren mehr, sondern nur Ja oder Nein. Entweder er kauft die Nummer ab oder er wendet sich ab. Das Gespräch ist eben ein Gesprächsangebot, was abgelehnt werden kann. Allein das Wort Angebot im Zusammenhang mit Gesprächen ist ein Krebsgeschwür des Verhaltens und prägt die Kommunikation um in reines Klinkenputzen.

Veränderungen zum Guten kommen deshalb aus der Entkopplung. Erst wenn man wieder bereit ist, ein gesitteter Gesprächspartner zu sein, erst dann wird die Kommunikation fruchtbar werden. Die Aufgabe unserer Zeit beginnt damit, an sich selbst zu arbeiten, um die Aufmerksamkeitsökonomie zu verlassen und sich dem Eigentlichwichtigem zuzuwenden.

Aus diesem Grund kritzel ich hier meine Notizen hin. Sie widmen sich nicht der Tagesmode, sondern dienen diesem Anliegen: sich entkoppeln.

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