Konservatismus

Bin ich konservativ?

Bei meinen Ansichten werde ich oft gefragt, ob ich konservativ bin. Meine Meinung würde in den Bereich fallen, den man üblicherweise konservativ nennt. Nun, was ist dran?

Unter konservativ verstehe ich folgendes: Wir stellen Konserven her, um Lebensmittel haltbar zu machen. Also die Haltbarkeit zu erhöhen. Dabei muß man beachten, daß das, was man konserviert, bereits nicht mehr völlig lebendig ist. Was die Konserve macht? Sie behindert die Verwesung, indem Pilze, Mikroorganismen und ähnliches abgetötet wird und der Sauerstoff entzogen wird. Das verlangsamt den Zerfallsprozeß. In diesem Sinne bin ich nicht konservativ. Ich möchte nicht den Zerfall aufhalten. Das Tote ist tot. Das ist ein Fakt.

Aber was bin ich dann? Antwort: Ich glaube an die Tradition. Meine Kultur beruht auf der Kultur meiner Vorfahren, meiner Väter. Dabei halte ich es für sinnvoll, das zu übernehmen, was sich bewährt hat. Was die Kultur hervorgebracht hat, das versuche ich mir anzueignen und zu adaptieren. Wenn ich etwas verbessern kann, um so besser. Dann füge ich dieser Kultur etwas hinzu. Das ist aber nicht konservativ. Also, ich bin für Tradition. Und doch bin ich kein Traditionalist im landläufigen Sinn. Das heißt, daß ich nicht die vergangene Kultur an und für sich annehme und bewahre. Es gibt einen Unterscheidungsprozeß. Es gibt auch Dinge, die meine Väter und Vorfahren hervorgebracht haben, wo ich abweiche. Das kann weg. Ich beschreibe es einmal so: Die Tradition muß lebendig sein. Das ist ihr wesentliches Kennzeichen, damit ich sie mir zu eigen mache. Wie bei einer Pflanze: Die verwelkten Teile zwicke ich ab. Das Kranke und Vertrocknete schneide ich ab. Aber: Wenn die Pflanze Kraft hat, dann treibt sie neu aus. Das ist die Kraft der Tradition und der Kultur. Was nicht neu austreibt, das treibt eben nicht neu aus.

Das Hauptproblem der Tradition ist, daß sie nur dann funktioniert, wenn sie beseelt ist und organisch wächst. Beispielsweise wollte das Zweite Vatikanische Konzil Latein als Liturgiesprache bewahren. Doch das kann man nicht per Dekret. Latein ist nur insofern lebendig, als ich dem Lateinischen einen Sitz im Leben gebe, wenn ich es gebrauche, wenn ich es studiere und in dieser Sprache lese. Dann ist es lebendig. Die bloße Anweisung genügt nicht. Deshalb war es ein Rohrkrepierer und die Liturgiesprache wurde an die Landessprache angepaßt. Man kann nicht bewahren, was erstirbt. Ich habe daher die Aufgabe, wenn ich das Lateinische in der Liturgie kultivieren möchte, daß ich selbst in mir das Lateinische kultiviere. Nur dann hat es einen Platz in der Liturgie.
Also: Ich glaube an die lebendige Tradition. Ich muß sie kultivieren. Sie muß in mir leben. Unsere Kultur stirbt, weil die Tradition, unser Erbe, nicht mehr lebendig ist. Im Konservatismus steckt kein Leben. Und gerade diejenigen, die sich selbst als konservativ bezeichnen, sind meistens nicht an der lebendigen Tradition interessiert, sondern wollen lediglich ihre eigene Weltanschauung bewahren. Die Tradition ist nicht das Ergebnis meiner Perspektive auf die Vergangenheit, auf die Kultur der Väter, sondern das Erbe und die Korrektur meiner eigenen Fehlbildung. Sie fordert mich heraus und nicht ich sie. Das ist ein wesentlicher Unterschied im heutigen Denken über die Vergangenheit. Die Toten haben eine Stimme. Meine Aufgabe ist es, sie zu achten, zuzuhören und im Gespräch mit den Toten zu sein. Nur wenn ich bessere Argumente als die Toten habe, dann macht es Sinn, von ihnen abzuweichen.

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