Heute morgen tauchte in meinem News-Feed ein Beitrag von Josef Jung (Cathwalk) über den Gehorsam auf. Dabei unterscheidet er zwei Arten: den "klassischen" Gehorsam und den "jesuitischen" Gehorsam. Der klassische, thomistische Gehorsam ist der Kadavergehorsam: Wie ein Kadaver, der jeder Bewegung, die ihn bewegt, keinen Widerstand leistet, sondern folgt, so soll der Gehorsam gegenüber den Oberen sein. Ausnahme: Die Befolgung des Befehls beinhaltet, zu sündigen oder den Anschein einer Sünde. Dann ist es eine Pflicht, ungehorsam zu sein. Dagegen steht der "jesuitische" Gehorsam, der "weiter reicht": Der Befehlsempfänger soll den Befehl nicht nur ausführen, sondern ihn auch verstehen und selbst wollen. Es wird nicht nur eine äußere Zustimmung, sondern auch eine innere Zustimmung eingefordert.
Wenn gleich ich auch keinen Beleg dafür gefunden habe, warum der "nicht klassische" Gehorsam "jesuitisch" sein soll, so stimme ich doch dem Inhalt zu. Ich würde es anders benennen. Der klassische Gehorsam ist ein blinder Gehorsam und der moderne (= nicht klassisch) ist ein sehender Gehorsam.

Meine eigene Erfahrung deckt sich darin, daß heute ein "sehender Gehorsam" eingefordert wird. Das gilt eben als modern, als aufgeklärt, als eines vernunftbegabten Menschen würdig. Und doch ist es so nicht. Der sehende Gehorsam führt, wie Jung sagt, zur Aufhebung von forum externum und forum internum. Das Wollen und das Verstehen geht den Oberen aber nichts an. Das ist ein seelischer Übergriff. Das Innere wird nach außen gekehrt. Dort gehört es nicht hin. In der Folge verschiebt sich der Beurteilungsrahmen. Denn normalerweise beurteilt ein Oberer das Handeln, d.h. die äußere Seite. Nun aber wird das Verstehen und Wollen beurteilt, d.h. die innere Seite.
Ein zweiter Effekt ist, daß das Wesen des Gehorsams völlig neu definiert wird. Die Grundlage des Gehorsams ist das Wohlwollen (benevolentia). In einem ersten Sinne heißt es, dem Willen Gottes zu entsprechen, in einem zweiten, dem Willen zum Gut der Gemeinschaft zu entsprechen, der man angehört. In beiden Fällen gründet sich das Gehorsamsverhältnis auf dem Vertrauen in den Willen. Der Wille ist aber eine "personale Tatsache". Im "sehenden Gehorsam" wird das Vertrauen in den Willen überführt in das Vertrauen in die Vernünftigkeit der Anordnung. Aus einer personalen Tatsache wird eine sachliche Tatsache. Und so verschwindet der Gehorsam als interpersonales Geschehen und wird zu einer Art "Pseudonaturgesetz": Wärest du vernünftig, dann würdest du die Gutheit der Anordnung einsehen. Der personale Wille verschwindet und es sekundiert eine (angebliche) sachliche Notwendigkeit. Mit einem personalen Willen kann man reden. Mit einer sachlichen Notwendigkeit kann man nicht reden.

Es wäre besser, nicht vom "sehenden Gehorsam" zu reden, sondern von einer PsyOp. Der Mensch wird manipuliert, nämlich damit er etwas aus angeblich eigenem Antrieb tut, obwohl es ihm von außen auferlegt wird. Es wird ihm der Schein eingebleut, er selbst wäre der Grund, warum das tut, was er tut. Und so ist es gar kein Gehorsam überhaupt mehr. Denn Gehorsam heißt immer: einen Befehl ausführen, den ein anderer gibt.

Im gesellschaftlichen Kontext finden wir eine Entsprechung: Toleranz und Akzeptanz. Im Grunde heißt tolerieren, etwas stehen lassen, auch wenn man nicht zustimmt. Akzeptanz bedeutet dagegen, nicht bloß stehen lassen, sondern sich eine Sache zu eigen machen. Die Akzeptanz fordert unsere Zustimmung ein. Und das ist übergriffig.
Wenn man sich nun die Lage in der Schule anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß alles auf Akzeptanz hinausläuft und nicht auf Toleranz. Ständig wird das Verstehen und das Wollen eingefordert. Ob es die Sexualmoral betrifft, den Klimawandel, die Einwanderungsfrage, usw. Bei allen Themen läuft es darauf hinaus.

Und so sieht man, daß die Frage nach dem Gehorsam keine bloß kirchliche Frage ist, sondern eine umfassende Fragestellung für jedes personale Geschehen. Praktisch könnte man sich die Frage stellen, welche Rolle der Gehorsam in der Familie darstellt. Denn auch da gibt es einen echten, wahren, tugendhaften Gehorsam und einen falschen, "jesuitischen", rebellischen "Gehorsam". Vielleicht sollte ich mal eine Kleinschrift diesem Thema widmen.

In allem jedoch gilt: Es gibt nur einen Gehorsam und das ist der "blinde" Gehorsam, der Kadavergehorsam. Alles andere ist dumm, naiv, kindisch und vor allem seelisch vergewaltigend.


Nun werden einige sagen: "Aber Johannes! Hast du nicht die 68er mitgekriegt? Autorität wird doch immer wieder mißbraucht! Wieviel Schaden hat der blinde Gehorsam angerichtet! Schau doch mal in die Familien und die Erziehung der Kinder. Da wirst du doch andauernd fündig!"

Antwort: Nein. Das sind unterschiedliche Sachen. Der klassische Gehorsam funktioniert nur, wenn eine Beurteilung der Sittlichkeit einer Anordnung stattgefunden hat. Das Problem des Autoritätsmißbrauchs liegt darin, daß derjenige, der befiehlt, seine Anordnung auf seine eigenen Zwecke ausrichtet. Nehmen wir den Fall "make me a sammich!!!" Das ist der Motivation nach unsittlich. Die Frau ist nicht der Küchensklave des Mannes. Es wäre ein falsches Vertrauen der Frau in den Mann, weil das eigentliche Wohlwollen des Mannes fehlt.
Ein anderer Fall des Autoritätsmißbrauchs liegt in der Sanktion der Anordnung verborgen: Wird eine Anordnung nicht erfüllt, dann gibt es meist eine Strafe. Klassiker: "Kind, du hast dein Zimmer nicht aufgeräumt. Heute gehst du nicht draußen spielen." - Diese Form der Erziehung ist tatsächlich nicht in Ordnung. Sie ist ein Fall für Pawlowsche Reflexkonditionierung. Strafen sind nur dann legitim, wenn eine sittliche Verfehlung vorausgeht. Strafen ist also eine Sache, die nur im Feld von Gut und Böse einen Sinn hat. Doch im gegebenen Fall geht es nicht um Gut und Böse. Die Strafe folgt keiner sittlichen Logik, sondern dem "Recht des Stärkeren", der Willkür. Und das unterminert jegliche sittliche Erziehung. Das Kind weiß gar nicht, was Gut und Böse ist, sondern es lernt, was strafbewehrt ist und was nicht. Es ist eigentlich die Zerstörung der Sittlichkeit durch eine falsche Autorität aka Willkür.

Übrigens: Gehorsam ist eine Tugend. Sie erfordert den Vernunftgebrauch. Bei einem Vierjährigen von Gehorsam zu reden ist also absurd.

Und wer kennt nicht den "bösen Blick" einer Mutter, die versucht, ihrem Kind ein "schlechtes Gewissen" zu machen? Das ist die typische 68er Pädagogik.

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