Das Evangelium vom heutigen Sonntag, Lk 14:25-35, tut weh. Zumindest sollte es das. Denn hier erklärt Jesus, welche Standards er anlegt. In der Predigt, die ich heute hörte, war von der Nachfolge die Rede. Das genügt nicht im Hinblick auf das Evangelium. Jesus spricht nicht nur von der Nachfolge, sondern von der "Vorfolge". Erst dann wird sein Wort vollständig und richtig gehört. Im Lateinischen wird das sehr schön deutlich:
Die Rede beginnt mit "Si quis venit ad me", "Wenn wer zu mir kommt." Venit ad me, das ist der erste Maßstab, um den es geht. Zu Christus kommen. Wie geht das? Jesus sagt nicht, daß das einfach so geht. Dieses Kommen hat eine Voraussetzung: die Verleugnung aller Familienbande einschließlich des eigenen Lebens. Jesus hat Priorität vor allem. Das ist sozusagen die "Vorfolge". Es ist schlicht unnütz ohne diese Voraussetzung zu ihm zu kommen. Er wird von Jesus abgewiesen: "non potest meus esse discipulus", der kann nicht mein Jünger sein.
Die Jüngerschaft hat also eine ganz große Voraussetzung: die Selbstverleugnung. Jesus als Lehrer zu akzeptieren hat einen Preis. Und das ist der höchste Preis, den ein Mensch bezahlen soll. Alles hinter sich lassen für Jesus. Wer das nicht tut, der ist auch kein Jünger Jesu. Ganz einfach. Oder heute: Der ist kein Christ. Die Studiengebühr, die Jesus erhebt, heißt Selbstverleugnung.
Dann kommt der zweite Teil mit "et venit post me", also "und nach mir kommt". Es wird mit "nachfolgen" übersetzt, aber das ist nicht gut. Der Parallelismus zum vorigen wird so nicht deutlich. Es gibt die "Zulassungsbedingung" und es gibt dann die Konsequenz, wie der Student Christi zu leben hat. Und das ist eindeutig: "qui non baiulat crucem suam". Wer sein Kreuz nicht schultert. Der Schüler Christi ist zugleich ein Kreuzträger oder er ist kein Schüler. "non potest meus esse discipulus."
Soweit der "sensus litteralis", der buchstäbliche Sinn. In der Betrachtung der Stelle finden wir die Synthese. Das "Schülersein Christi" hat zwei Teile: Vorfolge und Nachfolge. Venire ad Christum und venire post Christum. Diese Voraussetzungen werden immer wieder gemacht in der Schrift. Wir finden das auch bei Matthäus: Die Weisen aus dem Morgenland haben alles Verlassen, um das "venire ad Christum" zu erfüllen. Ebenso die Hirten auf dem Feld, die ihre Herden hinter sich lassen.
Innerlich finden wir nun aber einen Zusammenhang, einen dogmatischen Sinn, zwischen Vorfolge und Nachfolge: Wer sich nicht selbstverleugnet hat, der kann auch kein Kreuz tragen. Diese Überlegung ergibt sich aus den zwei Gleichnissen vom Turmbau und vom Kriegführen. Die große Frage heißt: "Sufficit?" Reicht es? Die Überschlagsrechnung muß gemacht werden. Und wer sich nicht selbstverleugnet, der wird merken, daß er einen Krieg führt, den er verliert oder einen Turm baut, den er nicht fertig kriegt.
Und so ist es auch mit den Menschen in der Kirche. Es gibt zwei Arten: Die einen haben sich selbst verleugnet und sind dabei ihren Bau zu vollenden und den Krieg zu gewinnen, und die anderen haben sich nicht selbst verleugnet und sitzen auf Ruinen und auf Leichenbergen, während sie den Kampf verlieren.
Die gute Nachricht: Wer in Ruinen und auf Leichenbergen sitzt, der kann immer noch umkehren und beginnen sich selbst zu verleugnen. Er kann von der zweiten Art zur ersten Art verwandelt werden. Und für uns, die wir schwache Menschen sind, gilt auch noch ein anderes Wort: trahe me post. Zieh mich Herr, hinter dich! Ziehe mich! Denn ich bin schwach.