Wie gehabt: Die Identitätskrise unterteilt sich in zwei Bereiche. Da ist die priesterliche Identität und da ist die Identität des Laien. Letzteres ein Thema des letzten Konzils, wenn gleich auch schwach ausgeprägt und -buchstabiert.

Im Priesterseminar wurde mir gesagt: erst Mensch sein, dann Christ sein und schließlich Priester sein. Darum geht es in der Seminarausbildung. - Nun, nichts könnte falscher sein. Der Christ ist kein Mensch 2.0 mit Upgrades und der Priester erst recht kein Mensch 3.0 oder Christ 2.0. Dieses Denken ist fatal. Im Grunde, ja so muß man sagen, ist es klerikalistisch. Und so offenbart diese Denke doch auch, wie der geistliche Zustand des "Kaders" ist.
Freilich war das nicht in diesem "Upgrade-Schema" gemeint. Es sollte keine Summe sein: Mensch + Christ + Priester. Aber was dann? Eine Checkliste? Mensch und Christ und Priester? Ja, aber ist das nichts anderes als eine Summe!? Eine ehrliche Antwort würde ich wohl nicht bekommen, sondern nur eine "Nicht-Antwort", d.h. ausweichend. Es ist ja doch so gemeint, wie es sich anfühlt.

Also, was ist daran falsch? Schlicht alles. Mensch sein. Was ist der Mensch? Quid est homo? "Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?", sagt die Schrift. Der Mensch ist von Gott her und auf Gott hin. Man kann das Christsein nicht vom Menschsein trennen. Der Mensch ist auf Christus hin geschaffen. Dazu ist er da. Ein Mensch, der kein Christ ist, was ist das? Das ist ein halber Mensch, ein sündiger Mensch, ein ungerechtfertigter, ein halbtoter, der unter die Sünde gefallen ist und nicht mehr aufstehen kann. Das ist ein unbegnadeter und noch verurteilter, eine Mördergrube und ein Elend. Nein, die Wahrheit über den Menschen wird erst offenbar, wenn er Christ ist. Mensch ist der Mensch nur wirklich dann, wenn er Christ ist. Vorher ist er ein verlorener Sohn oder eine verlorene Tochter.
Menschsein und Christsein sind also keine Gegensätze. Man kann das nicht trennen oder auflösen. Im Grunde: Die Leiter der Seminare haben das Christentum nicht verstanden. Und zwar weder das Menschsein noch das Christsein und erst recht nicht das Priestersein. Entschuldigung, das muß man aber leider so sagen!

Und dann: Ist der Priester mehr als der Christ? Ein Frage, die absurd ist. Sympathie für jede Frau, die hier wütend wird! Sie tut es zurecht. - Der Priester ist nicht näher am Herrn dran als derjenige, der nicht geweiht wurde. Alle empfangen den gleichen Herrn und zwar auf gleiche Weise. Es gibt keinen Unterschied. Das Priestertum ist ein Dienst. Nicht mehr, nicht weniger. Es ist kein Additum zum Christsein, kein Anhang und auch kein Bonus. Es ist eine andere Weise, den gleichen Dienst auszuführen: nämlich die Lebenshingabe als Opferbrand Christi. Es ist die gleiche Liebe Christi, die zum Priestertum führt wie auch zur Ehe. Da gibt es kein Mehr und auch kein Weniger.

Warum dieser Vorspann? Weil diese Meinung nicht nur in den Seminarien unserer Lande herrscht, sondern auch in den Köpfen der einfachen Leute. Nur: Das ist falsch.

Problem 1: Unterscheidbarkeit

Papst Benedikt XVI. sprach in seiner Freiburger Rede von der Entweltlichung. Das ist ein Auftrag an jeden. Dabei wurde es auf die Kirche bezogen: Nicht dieser Welt angleichen, nicht anpassen und gleichförmig werden. Nein, sondern widerstehen und geistlich sein. Nicht von dieser Welt. - Doch das meint gerade nicht die Kirche als Amtskirche, sondern mich als Glied am Leibe Christi. Ich als Kirche muß mich entweltlichen, geistlich werden, nicht von dieser Welt. Und da haben wir das Problem. Der "normale" Christ unterscheidet sich nicht von allen anderen Menschen mehr. Nicht weil alle jetzt Christen sind, sondern weil der Christ keine Lebenspraxis hat, die anders ist als die Welt. Er geht in der Welt auf.
In der Bergpredigt haben wir klare Anweisungen Christi erhalten. So sollen wir leben und nicht anders. Da haben wir den Lackmustest. Wir müssen anders sein. Nicht um der Unterscheidbarkeit willen, sondern weil das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist. Wir gehen anders mit den Dingen dieser Welt um. Das hier ist alles nur "Vorletztes", Vergängliches. Es hat keinen Bestand. Wir suchen nicht Reichtum oder Ansehen, sondern die Ehre Gottes. Das ist unser Sinnen und so muß es sein. Doch davon ist nichts übrig. Alle Christen, ob Priester oder nicht, sind in dieser Welt aufgegangen, so wie Salz sich im Wasser auflöst.

Problem 2: geistliches Leben

Mit der Taufe betritt der Mensch ein neues Leben. Er wird Christ und damit Kind Gottes. Der Heilige Geist lebt und arbeitet in ihm. Leben in der Gegenwart Christi, vergegenwärtigt durch die Sakramente, die Heilige Schrift, das Gebet und die tätige Liebe, das ist der Inhalt des Daseins. Von dort her kommt alle Lebendigkeit. So wird der Mensch umgestaltet in Christus. So wird der Mensch ein zweiter Christus. Diese Dinge haben Vorrang.
Und bei uns? Nicht ausgeprägt. Nicht nachweisbar. Ab und an Sonntags in die Messe. Aber aus dem Glauben leben, im Glauben leben, in der Kraft des Heiligen Geistes? Nichts davon ist vorhanden. Die Gnade, die gegeben wurde, wo ist sie hin?

Problem 3: Identität durch Christus

Christus verleiht die Identität. Die Schrift bezeugt die Identität des Gläubigen, des Christen. Der Christ ist ja ein kleiner Christus. Deshalb der Name. Ebenso aber ist er Jünger, d.h. Schüler. Wessen Schüler? Des Meisters, Rabbuni!, und das ist Christus selbst. Der Christ ist Geselle in der Werkstatt Jesu oder er ist kein Christ. Was ist er noch? Sohn und Tochter des ewigen Vaters. Adoptiert aus Gnade. Diese Identitätsbezeichnungen sind relevant. Nehmen wir die Gleichnisse: Der Christ ist Knecht im Hause des Herrn, er ist Jungfer, die auf den Bräutigam wartet, er ist Tagelöhner im Weinberg des Herrn. Oder die Wundertaten Christi: Er ist der Lahme, der wieder gehen kann, der Blinde, der wieder sehen kann, der Stumme, der wieder reden kann, der Taube, der wieder hören kann, der Tote, der wieder lebt. Und natürlich der Gefangene, der befreit wurde aus der Knechtschaft der Sünde und der Dämonen. Der Sünde, dem vergeben wurde. Er ist die Hure, die geweint hat und Erbarmen gefunden hat. Er ist der Zöllner, der seinen Wucher mit Großzügigkeit gesühnt hat. Usw.

Das alles ist der Christ. Die Liste ist unendlich lang. Indem der Christ diese Identitäten annimmt, wird er umgestaltet und immer mehr Christus ähnlich. Christus benutzt diese Charaktere, um den Menschen wie Holz zu schnitzen und den erlösten und begnadeten Mensch zu fertigen. Nichts anderes sind die Heiligen: Bilder des einen Christus, die uns offenbaren, wer wir vor Gott sind.
Die heutige Zeit meint, der Christ müßte sich selbst neu erfinden und die Heilige Schrift würde quasi eine Antithese bilden, indem sie ihm sagt, was er alles nicht ist. Es gibt einen Affekt, der sich gegen diese neue Identität in Christus richtet. Darin besteht das eigentliche Problem. Der moderne "Christ" will alles sein, nur nicht Christ.